Wohllebens Waldakademie

Der Kiri-Baum – Klimawunder oder potenzielle Gefahr?

Ist der Kiri-Baum, auch bekannt als Blauglockenbaum oder Paulownia tomentosa (die am häufigsten in Deutschland gepflanzte Art), wirklich die Antwort auf unsere Klimaprobleme?

Die Vorteile des Kiri-Baums

Er wird oft als Zukunftsbaum gefeiert: Seine Fähigkeit, extrem schnell zu wachsen - bis zu 4 Meter pro Jahr, jedoch im Normalfall eher 1,5 bis 2 Meter - lässt aufhorchen. Sein Holz ist belastbar und elastisch, was es für verschiedene Anwendungen wie zum Beispiel Möbel und Musikinstrumente attraktiv macht. Ursprünglich in China beheimatet, ist der Kiri-Baum für seine großen blauen Blüten und deren vermeintliche Anziehungskraft auf Insekten bekannt. Darüber hinaus bindet er eine beträchtliche Menge CO2 und scheint somit eine vielversprechende Lösung im Kampf gegen den Klimawandel zu sein. Doch klingt das nicht zu schön um wahr zu sein? Das schauen wir uns einmal im Detail an.

Patricks YouTube Video über den Kiri-Baum:

Rettet der Kiri-Baum das Klima?

Bei all der Euphorie sollten wir beachten: Der Fokus auf einen einzelnen Baum und seine Vorteile lässt außer Acht, dass wir bei der Pflanzung von Kiri-Bäumen von Plantagen reden. Und: Der reine Fokus auf die CO2-Bilanz eines Baums kann irreführend sein. 

Kiri-Plantagen vs. Naturwälder

Um sein Potenzial als Klimaretter realistisch einzuschätzen, ist es sinnvoll, das Anlegen von Kiri-Baum Plantagen mit der möglichen Alternative zu vergleichen: Dem Entstehen eines Naturwaldes. Gleichzeitig gilt es, nicht ausschließlich die Kohlenstoffemissionen zu betrachten (der sogenannte carbon vision tunnel), sondern auch andere Klimaanpassungsmaßnahmen: Der Ausstoß weiterer Treibhausgase, die Kühlungsfunktion, der Wasserhaushalt (z.B. Grundwasserneubildung), Sauerstoffneubindung, Bodenschutz, Lebensraum für vielfältige Arten und vieles mehr – in all diesen Kategorien schneiden Plantagen immer (!) schlechter ab als natürliche Wälder (Hinweis: Aktuell fehlt es an Studien, die konkret Kiri-Baum Plantagen in den Blick nehmen, doch das Ergebnis wird auch hier nicht anders ausfallen). 

Die CO2-Bilanz des Kiri-Baums 

Doch zurück zum Kohlenstoff. Vergleiche mit anderen Baumarten wie der Eiche, laut denen dem Kiri-Baum in 20 Jahren etwa 40 x mehr Kohlenstoff speichern soll, sind nicht fair, da Paulownia tomentosa eine andere Wachstumsstrategie verfolgt. Als Pionierbaum speichert er zwar in jungen Jahren schnell viel Kohlenstoff, aber im Vergleich zu langlebigen Baumarten wie der Eiche ist seine Lebensdauer begrenzt. Ein Vergleich mit heimischen Pionierbaumarten wie der Zitterpappel oder der Birke sind also angebrachter, und der Unterschied ist dann nicht mehr gar so groß, wenn auch trotzdem noch deutlich. 

Wird der Blauglockenbaum direkt nach seiner Ernte verbrannt, wie es z.B. im Süden der USA der Fall ist, landet der über wenige Jahrzehnte gespeicherte Kohlenstoff umgehend wieder in der Luft und es ist nichts gewonnen. Glücklicherweise wird das Holz hierzulande meist für eine langfristigere Nutzung in Form von z.B. Möbelstücken oder Instrumenten verwendet. Dennoch: Im Wald ist der Kohlenstoff immer besser aufgehoben.

Unser YouTube Video zum Thema Brennholz:

Für eben diese hochwertige Nutzung muss der Kiri-Baum intensiv gepflegt werden, beispielsweise in Form einer jährlichen Aufastung. Als Pionierbaum ist er zudem wenig durchsetzungsstark gegen Begleitvegetation wie z.B. Gräser, und diese müssen durch Pestizide oder Plastikfolien zurückgehalten werden. Neben dem eingesetzten Gift und Mikroplastik entsteht durch all diese Arbeiten auch ein erhöhter Verbrauch fossiler Energien. 

Auch wenn auch hier aktuell noch belastbare Studien zur CO2-Bilanz der Kiri-Ernte fehlen, sollte deutlich geworden sein, dass sie langfristig niemals besser aussehen kann als die eines natürlich entstandenen Waldes, in den der Mensch nicht eingreifen muss. 

Wunderbaum Kiri-Baum – Was zeichnet sogenannte Zukunftsbäume aus?

Es ist mittlerweile schwer zu glauben: Auch die Fichte wurde hierzulande einmal als Wunderbaum gefeiert. Sie ist der (kaum noch) lebende Beweis für ein Schicksal, das viele dieser Baumarten, u.a. auch die Douglasie oder den Eukalyptus, eint. Werden Arten erstmalig in ein fremdes Ökosystem eingeführt, fehlen dort auch die Plagegeister aus ihrer alten Heimat. So wachsen Baumarten zunächst weitestgehend unbehelligt, was über 2-3 Generationen (einige Jahrzehnte oder gar wenige Jahrhunderte) gut gehen kann. Doch irgendwann folgen auch die Schädlinge an den neuen Standort, wo die Bäume nun aber nicht in ein funktionierendes, stabiles Ökosystem eingebettet sind, das einen guten Schutzschild darstellt, sondern auf Plantagen den Schädlingen fast völlig allein gegenübertreten müssen. Denn: Auf Plantagen ist es um die Artenvielfalt nicht gut bestellt.

Hier erfährst du mehr über "Zukunftsbaumarten":

Ist der Kiri-Baum insektenfreundlich?

Mindestens genauso dramatisch wie der Klimawandel ist das Artensterben, in dem wir uns befinden – das größte Massensterben seit den Dinosauriern. Der Verlust der Artenvielfalt, der in Plantagen im Vergleich zu natürlichen Wäldern vonstatten geht, ist daher umso dramatischer. Doch Moment, ist der Blauglockenbaum mit seinen großen Blüten nicht bekannt dafür, ein Insektenmagnet zu sein? Jein! Einige Insektenarten freuen sich zwar über den angebotenen Pollen und Nektar während der kurzen Blütezeit - zu dieser Zeit blühen aber auch ausreichend andere Arten. Wichtiger hingegen ist es, dass auch der Nachwuchs, z.B. Schmetterlingsraupen, etwas zum Fressen findet. Mit Exoten wie dem Blauglockenbaum kann dieser meist jedoch nichts anfangen und verhungert. 

Nehmen wir zum Vergleich die heimische Zitterpappel: Etwa 130 Raupenarten fressen sich an ihr satt, 26 davon sind auf die Zitterpappel angewiesen.  

Ist der Kiri-Baum invasiv?

Als Fürsprecher*innen der Artenvielfalt auf diesem Planeten sind wir keinesfalls Gegner des Kiri-Baums, denn die hier aufgezählten Gefahren beziehen sich auf die Pflanzung in Deutschland – gleichfalls würden wir keine Zitterpappel in China oder Nordamerika ansiedeln wollen. Denn die Gefahr durch invasive Arten, also solche, die in ein neues Ökosystem eingeführt werden und dieses schädigen, ist nicht zu unterschätzen. Der Weltbiodiversitätsrat hat festgestellt, dass rund 60 % aller weltweit ausgestorbenen Arten ausgestorben sind, weil invasive Arten sie verdrängt haben oder zumindest einen Anteil daran hatten. 

Aktuell steht der Kiri-Baum in Deutschland auf einer Vorwarnliste als invasive Art, was bedeutet, dass das Gefahrenpotenzial noch nicht ganz geklärt ist. Es gibt bereits verwilderte Vorkommen entlang des Rheins. 

Ein Kiri-Baum im eigenen Garten?

Der Kiri-Baum ist eine wundervolle Baumart – wenn wir ihn in seiner Heimat belassen, wo er für die dort spezialisierten Lebewesen ein wertvoller Lebensraum sein kann. In Deutschland hat er jedoch keinen Mehrwert für die Natur, wird das Klima nicht retten und kann potenziell sogar gefährlich werden. Auch im Privatgarten empfehlen wir euch, lieber auf Alternativen umzusteigen. Wie wäre es zum Beispiel mit einer Kirsche (Prunus avium) oder einer Mehlbeere (Sorbus aria)?

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